Erfahrungsbericht
Wenn Pilger und Pilgerinnen von ihren Touren zurückkehren, haben sie viel zu erzählen. Ganze Bücher lassen sich mit ihren Erlebnissen füllen. Von überbordender Freude ist genauso die Rede wie von Momenten der Einsamkeit. Auch die schmerzenden Füße oder der nicht mehr zu (er)tragende Rucksack sind immer wieder kehrende Themen. Leuchtende Augen aber bekommen sie vor allem, wenn sie von ihren Begegnungen unterwegs erzählen. Wenn sie berichten von einer helfenden Hand, die eine Wunde verband; von einem langen vertrauensvollen Gespräch – genau im richtigen Moment; von dem Apfel, den man miteinander teilt und der deshalb besonders lecker schmeckt; von einem gemeinsamen Gebet in einer Kirche am Wegesrand. Diese Begegnungen sind nachhaltig und bieten nicht nur reichlich Gesprächsstoff, sie erfüllen das Herz mit Dankbarkeit.
Von einer solchen Begegnung möchte ich erzählen. Sie geschah während der Pilgerfreizeit im Juli des vergangenen Jahres. Es waren heiße Tage. Wir konnten die ursprünglich geplanten Touren nicht gehen, weil die Mittagshitze unerträglich war. Also gingen wir am frühen Vormittag und am späten Nachmittag bis in den Abend hinein, über Mittag ruhten sich die Teilnehmenden aus.
Wir waren unterwegs mit Musik und Gesang. An einem Abend wollten wir abschnittsweise alle Strophen des Liedes „Geh aus, mein Herz“ singen und dazu Gedichte hören – passend zu den jeweiligen Strophen. Unsere Stimmen klangen weit über die grüne Marsch, begleitet vom Gesang der Vögel und dem Brüllen der Rinder. So machten wir also immer wieder Halt und sangen ein paar Verse. Von Station zu Station. Bei einem solchen Liedstopp suchten wir den Schatten, auch noch am Abend, und fanden ihn in der Nähe von Osterhever hinter einem Haubarg. Wir nahmen unser Liedblatt und fingen an zu singen: „Ach, denk ich, bist du hier so schön und lässt du’s uns so lieblich gehen.“ Plötzlich hörten wir eilige Schritte. Eine Frau mit Schürze und Kopftuch kam in Gummistiefeln herbeigeeilt. Wir waren irritiert und unterbrachen unseren Gesang. Störten wir jemanden? Oder brauchte sie Hilfe?
Als sie näherkam, blickten wir in ein strahlendes Gesicht. Und noch im Gehen sprudelte es aus der noch jungen Frau heraus: Dieses Lied hört sie so gern, wie schön, dass wir es singen, ob sie wohl mitsingen dürfte? Einen Moment waren wir vor Erstaunen sprachlos. Doch ihr Funke der Freude sprang über, erleichtert fingen wir an zu lachen und begannen noch einmal von vorn. Geh aus, mein Herz, und suche Freud. Wir fanden sie in dieser Begegnung am Wegesrand. Sie trug uns weiter bis zu unserem Ziel. Die Freude über diese unkomplizierte und unverhoffte Begegnung, die wie ein vielstimmiger Choral in uns weiterklang.